Man wird nicht jünger. Mann auch nicht. Deswegen quält sich selbiger jeden Morgen aus dem Bett, als hätte er die Nacht über mit den Beinen hinter den Ohren geschlafen. Die Aufstehprozedur vollzieht sich dabei ganz männlich, also mit einem hohen Jammerfaktor, der zugleich meinen Wecker ersetzt. Wie gerne würde ich mal wieder von einem "Guten Morgen" oder einem zärtlich gehauchten Hallo geweckt werden. Statt einem qualvoll gekrächzten "Uaaahurg". Oder besser noch: Dem Knacken von Körperteilen. Ich bin ausnahmsweise definitiv mal nicht schuld, deswegen kann es nur die Matratze sein. Und die muss jetzt weg. Da hab ich ja noch einmal Glück gehabt.
Also, ab ins Bettengeschäft. Herr Hallmackenreuter hatte leider frei. Aber die bekittelte Dame, die geradewegs aus einer Federkissenfüllmaschine entstiegen war, hätte auch aus Loriots Feder stammen können. Und das Schlimmste war: An ihrem Hals klebte eine Nudel eine Federfusel. Die tanzte bei jeder Erklärung passend im Takt zum Gesagten eine lateinamerikanische Kür. Mit rheinischem Rhytmus untermalt.
"Also, da jibt et ja viele Unterschiede. Et jibt verjütete Federkern, 5-Gang-Bonellfederkern, punktelastische Tonnentaschen, 7-Zonen-Luxustonnen-Taschenfedern, Endloslatex, Kaltschaum..." Einsatz der Federfusel: Cha-Cha-Cha.
"Und janz wichtig is die Punktelastizität..." Wie-ge-schritt.
"Denn die Einsinktiefe von den Problemzonen, also Schulter und Hüfte..." Kleine Drehung mit angedeutetem Hüftkick.
Wir haben die Tanzstunde der Federfusel dann für eine kurze Ruhepause des schon leicht gestressten Problemzonenträgers unterbrochen. Er durfte sich hinlegen. Und hin und her wälzen. Und so schwierige Fragen beantworten wie: "Sind sie ein Rücken- oder ein Seitschläfer?" Also, um ehrlich zu sein ist er wohl ein Traumtänzer. Zumindest dreht er sich im Schlaf so oft hin und her, dass eigentlich keine Seite wirklich vom Schlaf betroffen ist.
"Das spricht für ne Schaummatratze. Denn die passen sich sehr gut den Körperkonturen an..." (will man das wirklich?). "Wichtich" ist da das Raumgewicht. Uah, und noch so ne Problemzone. Wir haben uns mal ganz diplomatisch auf den höchsten Festigkeitsgrad geeinigt. Cha-Cha-Cha.
Gekauft haben wir übrigens noch keine. Denn so ein gutes Stück zwischen 600 und 1000 Euro war uns doch mehrere Nächte drüber schlafen wert. Und vielleicht finden wir noch irgendwo Herrn Hallmackenreuter für eine Zweitberatung. Und dann die dazugehörige hüpffreundliche hüftfreundliche Spannmuffenfederung. Und zur Abwechslung mal ein paar Erkärungen im Dreivierteltakt.
RosasWelt - 7. Mai, 09:38
Ich bin 1,74 Meter groß. Ich trage hin und wieder gerne Absätze, dann bin ich gut und gerne 1,80 Meter groß.
Ich bin 33 Jahre alt. Und es dauert nicht mehr allzu lange, dann bin ich der Mitte 30 noch ein Jahr näher.
Ich habe schon vor etlichen Jahren die Schule abgeschlossen. Und dann das Studium. Und eine Ausbildung. Ja, ich arbeite sogar mittlerweile richtig.
Ich hatte lange Zeit eine eigene Wohnung. Jetzt teile ich mir wieder eine, aber Zuhause bedeutet schon lange, lange nicht mehr bei Mama & Papa. Sondern bei meinem Mann.
Ich war mitlerweile auf allen Kontinenten, wenn auch auf manchem nur ganz kurzfristig. Dafür auf anderen länger. Und ganz oft allein und auf mich gestellt. Oder mit fremden Menschen.
UND TROTZDEM: Ich bin immer noch klein. Schlimmer noch, ich werde nie groß werden. Ich bin ratlos, weiß echt nicht mehr, was ich noch machen sollen. Weiter wachsen ist nicht. Alles andere scheint auch nicht zu wirken.
Ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass man für seine Eltern immer klein bleiben wird. Denn das sind selbst meine großen Schwestern (also sowohl die älteste, als auch die 1,80 Meter große) für meine Eltern noch. Kinder.
Aber irgendwann, habe ich zumindest geglaubt, irgendwann wäre ich für meine Geschwister auch mal groß. Nicht die Große, klar. Aber auch nicht mehr klein. Und dann kommt man zum Familienfest und wird behandelt wie - die Kleine. Trotz wirklich hoher Absätze. Setz' dich hierhin, nein rutsch rüber, bleib hier, setz dich jetzt, pst und ruhig sein, iss noch was...
Es bleibt mir nichts anderes übrig als die einzig wahre Erkenntnis. Ich bin klein, mein Herz ist...
RosasWelt - 2. Mai, 10:19
Man könnte behaupten, die Frauen in meiner Familie spielen gern mit dem Feuer. Das ist aber irgendwie sehr platt, weil zu doof doppeldeutig. Aber: Sie spielen gerne mit dem Feuer. Genauer gesagt mit Kerzen. Ohne die brennenden Wachsfiguren geht bei uns überhaupt nichts. Und das meine ich diesmal wörtlich.
Keiner von uns Kindern (da musste auch mein Bruder mitmachen, ob er dran glaubte oder nicht) hat je ein Diktat geschrieben, über einer Mathearbeit gebrütet, eine Abi-Klausur geschrieben,eine Fahrprüfung gemacht, ein Vorstellungsgespräch überstanden, sich bei einem Chirurg unters Messers gelegt, ohne dass daheim auf dem Esszimmertisch die (entsprechend gesegnete) Kerze brannte. Ich habe nicht mal ohne Kerze Ja-Sagen können.
Das Problem ist allerdings, dass alle Frauen meiner Familie Hummeln im Hintern haben. Und Kerzen anzünden. Aber welche Prüfung oder Operation dauert nur ein paar Minuten? Und länger können wir es keinesfalls auf einem Platz ruhig aushalten, vor allem nicht, wenn wir auf etwas warten. Also rennen wir durch die Gegend, erledigen noch schnell wichtige Dinge, telefonieren, gießen Blumen, gehen noch mal zackig mit dem Hund Gassi. So, wie wir das uns von unserer Mutter abgeschaut haben.
Allerdings habe ich auch das dann sorgengeplagte Gesicht meines Vaters immer noch vor Augen. Nein, er hat sich keine Sorgen wegen der Fahrprüfungen, Klausuren oder Arzttermine gemacht. Oder zumindest wurden diese Sorgen immer überschattet von: "Brennt die Kerze noch? Ist jemand dabei? Steht die Wohnung vielleicht schon in Flammen?"
Zugegebenermaßen war und ist die Angst nichts ganz unbegründet. Er musste immerhin mal von der belgischen Grenze wieder umkehren wegen eines scheinbar vergessenen Bügeleisens. Das ist meiner Mutter wieder eingefallen. Die brennende Kerze aber musste jeweils durchgehend an sein - und wurde auch schon mal gern vergessen. Bis der erlösende Anruf kam: "Alles vorbei, ihr könnt sie aus machen." Der Esszimmertisch hat dabei durchaus seine Wunden davon getragen. Eine kleine dunkelbraune Stelle erinnert mich noch heute an eine Mathearbeit in der Oberstufe.
Deswegen darf ich zuhause keine Kerzen anmachen, solange ich die Hummeln im Hintern nicht unter Kontrolle habe. Außerdem ist mein Mann gewohnt, dass ich im Urlaub - während er Stadien angucken will - in fremde Kirchen gehe und dort Kerzen anzünde. Schon mal pro forma, im voraus quasi, das muss meist reichen. Heute gäbe es aber mal wieder Gelegenheit für eine Kerze. Und im Büro möchte ich dann doch weder den Feueralarm noch die Sprinkleranlage auslösen. Deshalb zünde ich sie heute virtuell an. Viel Glück, du-weißt-schon-wer!
Nachtrag: Die brennt natürlich auch für jeden anderen, der es heute gebrauchen kann. Also auch für dich, dich und dich: toi, toi, toi!
RosasWelt - 26. Apr, 07:17
Oft fragt man sich ja, wofür das alles eigentlich gut sein soll. Wofür man bestimmte Erfahrungen machen, Erkenntnisse sammeln muss.
Wofür, bitteschön, muss ich wissen, dass ein mein Mann bei der Hochzeit den gleichen Grad der Rührung erreicht wie in dem Moment, in dem die eigene Fußballmannschaft in der Nachspielzeit das alles entscheidende Tor schießt, so zum Meister wird und der absolute Hassgegner, der sich schon als Meister wähnte, in Tränen ausbricht?
Warum muss ich meinen Terminkalender seit gut einem Jahrzehnt nach den Spielplänen der Bundesliga koordinieren? (Falls irgendjemand sich noch einmal fragen sollte, warum wir nicht im Mai geheiratet haben: Doch nicht während der Spielzeit. Nachher hätte der Zukünftige mit Knopf im Ohr neben mir gestanden und im falschen Moment "Ja" gebrüllt, weil ein Tor gefallen wäre.)
Warum sitzt sonntags morgens immer mal wieder Udo Lattek bei uns mit am Frühstückstisch? Und mit ihm eine Vielzahl phrasendreschender Sportjournalisten?
Warum muss ich mir anhören, wie in meiner eigenen Wohnung elf Typen zusammengeschnauzt werden, weil sie nicht laufen? (Und Herr Lahm, ich weiß, sie hören ihn nicht. Aber bitte um meines lieben Friedens willen - bewegen Sie doch bitte ihren Arsch, möglichst so schnell, dass ich Ruhe habe!)
Und wofür muss ich mir anschließend auch noch geduldig Analysen von wieder den Sportjournalisten, Fernsehexperten und meinem Sofaxperten anhören?
Aber jetzt weiß ich wofür. Es ist nur ein kurzer Moment des Ruhmes, aber es ist meiner. Der Tagessieg im Tippspiel der Kollegen. Und das, obwohl ich offiziell gar nicht mitspiele. Aber am vergangenen Wochenende beschloss ein völlig verzweifelter Kollege, nicht mehr verlieren zu wollen. Und setzte seinen Joker. Mich. Was soll ich sagen. Er hat haushoch gewonnen. DAFÜR hat es sich doch irgendwie gelohnt.
RosasWelt - 17. Apr, 08:00
Manchmal geschehen Dinge, die hätte man nie für möglich gehalten. Vor allem hätte man sie sich selbst nie zugetraut. Sie passieren einem einfach. Und so wird Rosa, die schon als Kleinkind den Beinamen "Fleischfressende Pflanze" bekam und schon im zarten Alter von vier Jahren, als Alterskollegen auf die Frage nach dem Lieblingsessen Nudeln mit Ketchup geantwortet haben, ganz versnobt: "Filet mit Feldsalat" antwortete (als wenn es das bei uns täglich gegeben hätte), zur Vegetarierin. Besser gesagt: Wurde gemacht.
Freiwillig, nein freiwillig würde ich wohl nie auf Fleisch vollkommen verzichten (können). Es esse es einfach zu gerne. Allerdings auch nicht zu oft. Und damit wären wir beim Casus Knaxus. ZU VIEL. FLEISCH. Nein eigentlich eher: ZU VIEL. WURST.
Dabei esse ich Würstchen nicht einmal unbedingt gerne. Aber ich befürchte, diese Nacht werden sie mich noch im Traum verfolgen. Kleine, mordlüsterne Würstchen mit spitzen Fleischspießchen, die mich auf einem Grill zappeln lassen. Bis ich aufgebe. Und schwöre. Nie wieder Würstchen. Und ich befürchte, in diesem Traum werde ich sie sogar riechen. Der Geruch von gegrillten Würstchen geht schon gar nicht mehr aus meiner Nase. Seltene Momente, in denen man sich Schnupfen wünscht.
Aber zum Anfang. Deutschland, Frühling, 29 Grad, Sonnenschein. Was macht man da? Richtig, ANgrillen. Man kann die Saison ja nicht früh genug starten. Das hätten wir uns auch für den Einkauf vornehmen sollen. Aber alle anderen waren schneller. Und kauften das leckere Fleisch. Uns blieben nur Würstchen. Geflügelwürstchen. Würstchenschnecken. Bruzzelwürstchen.
Die ersten auf der Wiese in den Rheinauen schmeckten, wie alles, das man das erste Mal seit langem wieder probiert, lecker. Dann das ANrudern. Und zur Stärkung gab es im ANschluss - na, was wohl. Ein Würstchen vom Grill. Nach getaner Arbeit und soweit die Armkraft reicht, lecker. Abends dann noch mit den anderen Sportlern ein weiteres offizielles ANgrillen. Schließlich sollen auch die übrig gebliebenen Würstchen vom Vorabend endlich weg. Ich kann sie nicht mehr sehen. Die Würstchenschnecken wollte niemand haben. Also mit nach Hause. Und ANbraten. Soll der sie essen, der sie unbedingt kaufen wollte.
Das war es jetzt. Ende, Schluss, Aus. Wer nur das Wort Wür... ANspricht, muss bei mir mit dem Schlimmsten rechnen. Die nächsten Tage gibt es nur Salat. Und beim nächsten Grillen Tofuburger. Ich hoffe, die sind nicht so schnell wie die schlanken Würstchen, wenn sie einem im Traum mit der Fleischgabel verfolgen.
RosasWelt - 15. Apr, 21:44
Jede Familie hat ihre dunklen Geheimnisse. Unseres findet man auf der Autobahn. Beziehungsweise, eher am Rande einer Autobahn. Also genauer gesagt, auf Raststätten-Plätzen. Nein, nein, so dunkel ist unser Geheimnis nun auch wieder nicht. Wir würden nie, nie ein armes Tier dort an die Leitplanke binden. Das machen wir nur mit unserer Verwandtschaft. Also, nicht wirklich an die Leitplanke binden. Aber wir setzen sie hier aus, wenn wir sie nicht mehr haben wollen. Die Schwiegermutter, den Enkelsohn, oder wie im aktuellen Fall, ich meinen Neffen.
Das ganze ist mittlerweile schon ein Ritual. Und doch sieht man den Ausgesetzten immer wieder aufs Neue eine gewisse Nervosität ins Gesicht geschrieben. Setzt sie mich wirklich ab? Kommt jemand anderes um mich zu holen? Das ganze läuft dabei nach festen Mustern ab. Unser Treffpunkt liegt an einer Raststätte einer etwas weniger befahrenen Autobahn, die nächste Abfahrt ist nicht weit, damit man auch schnell vor der eigenen Verwandtschaft flüchten und auf der Spur in der entgegengesetzten Richtung fliehen kann. Das Aussetzen respektive Eintauschen gegen andere Ware verläuft meist gleich. Man fährt auf die Raststätte, sucht sich einen Parkplatz etwas abseits der anderen Autos mit möglichst ausreichend Platz neben dem eigenen Fahrzeug für den anderen Händler. Manchmal setzen wir unsere Verwandtschaft nämlich nicht nur aus. Wir tauschen sie gegen für uns nützlichere Dinge ein.
Im aktuellen Fall also stand ich mit einem leicht verunsicherten Jungen in der Pubertät an der A44 und wartete auf seine Mutter. Mit geschultem Blick musterte diese schon bei der Einfahrt die Situation auf dem Parkplatz, um dann unauffällig ihren dunklen Wagen neben meinem dunklen Wagen abzustellen. Die weitere Situation kan man sich ähnlich vorstellen wie ein Treffen mit dem Dealer der Sesamstraße. Hey, psst, willst du einen 14-jährigen Sohn? Ist der andere willig, dann kann die Verwandtschaft aufatmen. Sie wird nicht ausgesetzt, sondern nur eingetauscht.
Wobei, die Aussicht heute auf einer Raststätte ausgesetzt zu werden ja nicht mehr ganz so schlimm ist wie zu meiner Jugendzeit. Wenn wir früher auf dieser Strecke halt machten (ohne geplanten Tausch), war meine Horror-Vision, einmal an der Autobahn vergessen zu werden. Und dann nie wieder auf Toilette gehen zu können. Und ein Leben bei dünnem Kaffee und Schnitzel mit Pommes fristen zu müssen. Oder bei dünnem Kaffee und Pommes mit Schnitzel. Heute hat man die Wahl zwischen Cappuccino, Latte Macchiato und Schümlikaffee (ich glaube, ich muss mich demnächst mal da aussetzen lassen, um endlich herauszubekommen was Schümlikaffee ist). Und man hat die Wahl zwischen leichten Salaten und Wraps. Heute liegt die Raststätte ja auch nicht mehr an der A44, sondern an der Route 44. Obwohl ich immer noch Schwierigkeiten habe, mich mitten im tiefen Sauerland in die amerikanische Prärie zu denken. Es mangelt mir einfach an Fantasie.
An Fantasie mangelt es aber fast nie den Autofahrern um uns herum, wenn wir Kind und Koffer beispielsweise unauffällig gegen eine schmucklose Einkaufstüte tauschen. Der älteren Dame im BMW nebenan konnte ich es im Gesicht ansehen, wie sie so nachdachte, was da wohl gerade passiert, während sie nicht allzu offensichtlich hinschauen wollte. Mini-Schleuserbande? Geldwäsche? Hehlerei?
Also, ich muss zugeben, dieses Mal war ich ein bisschen nervös. Ich war fest überzeugt, dass mich spätestens in Höhe Dortmund die Drogenfahndung aufgreifen und mein Auto durchsuchen würde. Aber Glück gehabt. Meine Schwester konnte ihr Kind unbehelligt nach Hause bringen. Und ich habe die hessischen Wurstspezialitäten sowie die selbsteingemachte Rote Beete unbehelligt durch NRW geschmuggelt.
RosasWelt - 11. Apr, 04:08
Es ist kaum zu fassen. Gestern hatte sie Geburtstag, eine der ersten Heldinnen meiner Jugend, mein Vorbild. Rein rechnerisch müsste sie jetzt also 177 Jahre alt sein. Ist sie aber nicht. Denn sie bleibt immer die Kleine. Also ist die Kleine Hexe auch 50 Jahre nachdem ihre Geschichte als Buch erschien, immer noch klein. Und erst 127 Jahre alt. Grund genug, die Heldinnen meiner Jugend einmal zu würdigen:
1. Die Kleine Hexe. Man hat's nicht leicht als Kleinste. Das Schlimme daran ist - man wird es immer bleiben. Die Kleinste. Als Jüngstgeborene und auch noch Nachkömmling weiß ich, wovon ich spreche. Mittags trifft sich die ganze Familie am Esstisch. Und alle haben sie etwas zu erzählen. Die große Schwester von der Führerscheinprüfung, die mittlere Schwester von einem Reitturnier, der Bruder von irgendwelchen Schulabenteuern. Wie soll man da bitteschön mit schnöden Kindergartengeschichten gegen ankommen? Mein Abraxas hatte vier Beine und war ein Hund. Aber auf Geschichten konnte er nicht antworten. Also galt doch, sich am Esstisch zu behaupten. So lernt man früh, laut zu reden. Und Geschichten schön auszuschmücken, damit es ganz aufregend klingt, wenn man davon erzählt, dass man im Kindergarten gelernt hat, Strammer Max zu "kochen".
2. Luzie, der Schrecken der Straße. Ihre Einschulung lag nicht weit von meiner entfernt. Wenn ich mich recht entsinne, hatte ich das erste Schuljahr gerade hinter mir, als sie sich im Fernsehen auf ihre Schultüte vorbereitete. Ich wuste also schon, was auf sie zukommen würde. Aber ich konnte die Ungeduld, endlich auch dahin zu können, gut verstehen. Schließlich waren meine Geschwister schon alle da. Und es klang unheimlich wichtig (bei den Erzählungen am Esstisch, siehe oben). Abgesehen davon, hatten meine Geschwister oft auch keine Zeit oder auch mal keine Lust, mit so 'nem Zwerg zu spielen. Ich hätte also auch gerne zwei Knetmassen-Männchen wie Friedrich und Friedrich gehabt, die das Wohnzimmer mitten im Sommer in eine Eislaufbahn verwandeln. Aber dafür hatte ich ein Schaufenster. Nein, eigentlich drei. Also eigentlich gehörten die dem Geschäft meiner Eltern. Aber wenn keiner guckte, dann konnte ich da schnell in die Deko huschen. Und beispielsweise auf dem beinahe lebensgroßen, hölzernen Dekopferd auch mal ein Turnier reiten. Und Zuschauer gab es vor dem Schaufenster auch. Bis meine Eltern nachschauten, warum sich vor unserem Schaufenster eine kleine Menschentraube versammelte.
3. Die rote Zora. Einfach cool. So wollte ich auch sein. Und ich brachte die besten Voraussetzungen mit. Ich hatte rote Haare. Ich wollte auch eine Bande anführen. Gut, ich wollte nicht unbedingt ins Gefängnis. Und prügeln musste in echt auch nicht sein. Aber immerhin haben wir es in der Grundschule zu einer Bande gebracht. "Die Adler". Allerdings haben wir, soweit ich mich erinnere, gar nichts gemacht. Ach doch, wir hatten tolle Lederabzeichen, von denen ich bis heute nicht weiß, wofür die eigentlich gedacht waren. Irgendwas war eingestempelt. Irgendwas, was Marcos Eltern nicht mehr brauchten. Daran erinnere ich mich auch noch. Es gab einen Jungen in der Bande. Wenn sie Lederabzeichen haben, kann man Jungen schließlich in einer Bande gebrauchen. Und meine Schwäche für Dunkelharige schien auch damals schon ausgeprägt zu sein. Dass die rote Zora später zum Namen einer radikal feministischen Gruppe wurde ist Zufall. Aber passt auch irgendwie.
4. Die rote Saloon-Chefin. Die hätte ich in meinem jungen Alter wohl gar nicht kennen dürfen. Aber meine große Schwester hat dafür gesorgt, dass ich sie kennenlernte. Und toll fand. Und ein riesiges Selbstvertrauen bekam, unter dem heute mancher zu leiden hat. Denn bis zu dem zarten Vorschulalter wollte ich unbedingt die Haare meiner Schwester. Schwarz, dick und lang. Meine waren - wie beschrieben - rot. Und rothaarig sind nun mal eben Hexen. Und Bandenanführerinnen in den Bergen. Aber nie hübsche Frauen. War ich überzeugt. Bis mich meine große Schwester abends weckte (als meine Eltern aus waren) und mich zum Fernseher zitierte. Und da stand sie, leibhaftig, soweit das im Fernseher geht. Eine wunderschöne Rothaarige. Das beste aber: Sie sah nicht nur gut aus, sie war auch noch die Chefin vons Ganze. Der Saloon gehörte ihr, und die ganzen Blondinnen mussten nach ihrer Pfeife tanzen. Das gefiel mir. So wollte ich auch werden (zumindest, bis ich Jahre später herausfand, dass so ein Saloon ein Bordell ist. Da habe ich mir meine Berufswahl doch noch einmal überlegt.) Aber mit dem Ton angeben, das funktioniert meist schon ganz gut.
RosasWelt - 2. Apr, 08:37
Der Ring, das habe ich mir fest vorgenommen, bleibt am Finger. Ich werde ihn ihm nicht vor die Füße werfen. Ich bin nicht der Typ für theatralische Szenen. Ich schmore lieber heimlich vor mich hin, kühle dann extrem ab und zeige letztendlich nur noch meine kalte Schulter.
Aber manchmal kann eine theatralische Szene ja ganz wirksam sein. Vielleicht also sollte ich so etwas üben. Oder mir zumindest mal anschauen, wie das geht. Fangen wir also klein an. Es muss ja nicht gerade eine Stierkampfarena sein, in der wir aufeinander los gehen. Und ehrlich gesagt, ich würde auch ganz gerne wieder lebendig aus dem Wuppertaler Schauspielhaus hinauskommen. Und wenn mein Mann dort am Ausgang nicht gleich verhaftet werden würde, wäre mir das im Moment auch ganz recht.
Wir überlassen die Theatralik also den anderen und schauen erst einmal zu. Nach fast zwei Jahren Ehe vielleicht ein guter Zeitpunkt, sich auch nach anderen Streitkulturen zu erkundigen. Außerdem endlich mal Zeit, das wirklich letzte noch offene Hochzeitsgeschenk einzulösen: 2 Freikarten der Wuppertaler Bühnen. Die hat uns nämlich damals unsere Standesbeamtin überreicht. Und die hat uns immerhin ausführlich auf die Tücken der Ehen und verschiedene Mentalitäten des Umgangs mit derselben vorbereitet. Ostern schauen wir uns das also live an: Carmen kontra Don José.
Auf in den Kampf.
RosasWelt - 29. Mär, 10:21